Erbscheinverfahren und 

Amtsermittlungspflicht 


Manchmal ist es zum Haareraufen, wenn es im gerichtlichen Verfahren nicht voran geht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Entscheidung -wie die Erteilung eines Erbscheins- dringend benötigt wird, weil bei der Abwicklung des Nachlasses alles stockt. Banken, Grundbuchamt und Finanzamt reichen sich mit ihren Forderungen nach Legitimation, Berichtigung und Abgabe der Steuererklärung die Klinke in die Hand. Die Fristen drohen abzulaufen, aber der Erbschein wird nicht erteilt.

Das zuständige Gericht erklärt, noch nachforschen zu müssen.

So ist es in einem konkreten Fall, bei dem die Mandant:in -gemeinsam mit einem Geschwister- zu Schlusserben eines Onkels aufgrund eines gemeinsamen Testaments mit der Tante eingesetzt worden sind.
 
Das Problem: das Geschwisterteil ist bereits vor dem Erbfall verstorben. Der „Onkel" war der Ehemann der leiblichen Tante. Das bedeutet, dass einer der bedachten Erben weggefallen ist und ein Ersatzerbe nicht bestimmt worden war. Die Mandant:in ist mit dem Onkel nicht blutsverwandt also aufgrund gesetzlicher Erbfolge nicht erbberechtigt.

Das zuständige Nachlassgericht hat dies jetzt zum Anlass genommen, umfänglich nach den gesetzlichen Erben nach dem Onkel in dessen Familienstamm zu suchen.

Darf das Gericht das tun?

Das Erbscheinverfahren ist kein "normales" gerichtliches Verfahren des Zivilrechts. Anders als dort ist das Gericht verpflichtet, Ermittlungen zu den Erben selbständig durchzuführen (Amtsermittlungspflicht), wenn dies den Umständen nach erforderlich ist.

Ist es hier den Umständen nach erforderlich?


Es gibt keine Verpflichtung, immer gesetzliche Erben zu ermitteln. Dies steht (Ausnahme in Bayern) weder im Gesetz, noch verlangt das die Rechtsprechung. Damit steht es im Ermessen des Gerichts, über die Ermittlung der Erben zu entscheiden. Es gibt auf jeden Fall Situationen, wo aus dem Ermessen eine Pflicht wird, etwa wenn der einzige benannte Erbe aus dem Testament weggefallen ist.

Hier gab es aber von vornherein zwei Erben, die beide aus dem Familienstamm der zuvor verstorbenen leiblichen Tante der Mandant:in stammten. Wenn einer der Erben wegfällt, bleibt immerhin der andere Erbe übrig. Wenn keine Abkömmlinge des nicht mehr existierenden Geschwisterteiles vorhanden sind und auch die Eltern vorverstorben sind, kann doch angenommen werden, dass dann der andere Benannte alles erbt?!


Das ist nicht unbedingt so!
 Ob und inwieweit die sogenannte Anwachsung angenommen werden darf, die zur Stellung des Alleinerben bei dem überlebenden Bedachten führt, muss der wirkliche Willen des Erblassers nach dem Inhalt des Testaments erforscht werden.

Diesen Schritt der Erforschung des wirklichen Willens hätte das Nachlassgericht vor der Ermittlung der Erben gehen müssen. Im konkreten Fall ist zweifelhaft, ob dies geschehen ist. Denn meines Erachtens hätte dies zur Erteilung des beantragten Erbscheins ohne vorherige Ermittlung der gesetzlichen Erben nach dem Onkel führen müssen.


Der Wegfall des Geschwisters hinterlässt zwar eine Lücke in den Regelungen. Durch Auslegung des Testamentsinhalts und der Umstände bei Errichtung des Testamentes lässt sich diese Lücke aber schließen. Zunächst einmal ist das Testament gemeinschaftlich mit der leiblichen Tante errichtet. Es handelt sich also quasi um zwei „verbundene" letzte Willen. Beide Eheleute haben dabei bestimmt, dass nur ein Familienzweig -nämlich derjenige der Tante- zu Schlusserben bestimmt sein soll. Der andere Familienzweig findet weder als Erbe noch als Empfänger eines Vermächtnisses eine Erwähnung. Schon dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass das auch so bleiben soll, wenn einer der Bedachten Erben wegfällt.


Das Ergebnis wird noch gestützt durch die Umstände zu Lebzeiten des Erblassers und seiner Ehefrau. Es waren allein Neffe und Nichte der Tante, die sich um Kontakt- und Gesundheitspflege gekümmert haben Damit war auch ein Motiv für die so getroffene Regelung erkennbar.


Es gab also genügend Anlässe anzunehmen, dass eine Anwachsung eingetreten ist.

Die Crux: Das Gericht sieht dies anders. Wenn also Argumente nicht mehr überzeugen, können nur Beschleunigungsversuche durch Anträge unternommen werden. Werden diese abschlägig beschieden, kommt es auf die nächste Instanz an.

Wenn Fragen bestehen

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